Güterbahnhof Duisburg

Duisburg

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KöhlerPhotoArt

Der ehemalige Duisburger Güterbahnhof liegt etwa 500 Meter südlich des Duisburger Hauptbahnhofs zwischen der Autobahn A 59 und dem Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs. Stückgut-Versand hielt man in den Chefetagen der Deutschen Bahn in den 1990er-Jahren nicht mehr für wirtschaftlich und zeitgemäß. So wurden viele Güterbahnhöfe, nicht nur auf dem Lande, sondern auch in Großstädten trotz des politischen Ansinnens, mehr Güter auf die Schiene zu verlagern, stillgelegt. Der Güterbahnhof Duisburg ist beispielhaft hierfür. Auf dem Grundstück sollte ein riesiges Einkaufszentrum namens ECE entstehen. Doch das Projekt scheiterte. Somit blieben die alten Hallen einstweilen erhalten. Ein Ort der Ruhe, an dem sich höchstens Obdachlose, Sprayer oder gelegentlich auch Fotografen aufhielten.

2007 fand eine groß angelegte Abholzungsaktion statt. Ein Autobahnanschluss sollte im nördlichen Bereich entstehen. Die Bagger rückten an, und das Schicksal der Hallen schien besiegelt. Die charakteristische Stirnfront der Güterabfertigung mit dem alten DB-Emblem wurde abgebrochen, und auch der nördliche Teil der Hallen wurde entfernt. Zur Überraschung wurden die Hallen jedoch nicht vollständig beseitigt, sondern der größte Teil blieb stehen – fein säuberlich an der Nordseite ab- bzw. aufgeschnitten. Warum, blieb ein Rätsel.

Danach gab es Anlauf für ein neues „Leuchtturmprojekt“: Die verarmte Stadt Duisburg beauftragte den Londoner Star-Architekten Sir Norman Foster mit der Planung eines Parks namens „Duisburger Freiheit“. Er hatte bereits den Innenhafen mehr oder weniger glücklich gestaltet. Desweiteren war ein Möbelhaus im Gespräch. Diese Pläne blieben jedoch im Ansatz stecken. Zwischenzeitlich war die Kulturhauptstadt 2010 nähergerückt und Duisburg suchte Platz für eine Großveranstaltung. Es folgte das traurigste Kapitel in der Geschichte des Güterbahnhofs ...

Ansicht von Süden
Östliche Halle mit Tafel
Ansicht von Norden
Westliche Halle
Eckpartie
Tür
Stellwerk

Die Loveparade 2010

Eine Dokumentation über den Güterbahnhof Duisburg wäre nicht komplett, wenn sie nicht auch die erste und mit Sicherheit auch letzte Großveranstaltung auf dem Gelände behandeln würde. Obwohl Techno nicht unbedingt zu meinen musikalischen Präferenzen gehört, habe ich die Loveparade 2010 persönlich besucht und fotografiert. Zugegebenermaßen war ich von der Vorstellung, dass dort noch einmal Leben einkehren könnte, durchaus fasziniert. Ich war zugleich auch skeptisch und neugierig und fragte mich, „wie die das wohl hinkriegen“. Genaue Vorstellungen, wie das Ganze wohl ablaufen sollte, hatte ich nicht. Die Verantwortlichen leider auch nicht. Dies hatte den Tod von 21 Menschen zur Folge.

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich die Bilder einer zunächst fröhlichen Party überhaupt im Nachhinein zeigen soll. Und ob sie aufgrund der tragischen Ereignisse im Hinblick auf die sonst eher nüchterne Thematik dieser Website nicht fehl am Platze sind. Aber sie sind eben auch ein Teil der Realität, sind eben auch mit diesem Objekt verbunden, und auch letztendlich mit mir selbst, zumal ich mich am 24. Juli 2010 um 17.40 Uhr selbst am Ort der Katastrophe befunden habe, die sich zwanzig Minuten später ereignete. Nach über einem Jahr habe ich mich entschlossen, einen Teil dieser Seite der Loveparade zu widmen.

Nach meiner Ankunft auf dem Duisburger Hauptbahnhof hatte ich den Eindruck, ich sei in einem Hochsicherheitstrakt gelandet. Überall Gitter und Polizeisperren. Die Innenstadt hermetisch abgeriegelt. Dabei war der G8-Gipfel doch schon vorbei. Kein Zurück mehr – wer einmal in der Besucherkette war, musste mitlaufen! Fast wie Schlachtvieh. Loveparade hinter Gittern? Überraschend auch der lange Marsch bis zum Südeingang des Güterbahnhofs. Zumal es einen Nordeingang in Bahnhofsnähe gab, der aber geladenen Gästen vorbehalten war. Es hatte morgens noch geregnet, und um etwa 13 Uhr hielt sich der Zustrom noch in Grenzen. Kein Gedränge.

Das Areal, auf dem einige Monate vorher noch Gleise lagen, hatte man quasi in letzter Minute notdürftig planiert. Die Hallen der Güterabfertigung waren nur mittelbar einbezogen. Sie dienten zur Nordseite hin als Bühne, waren ansonsten aber unzugänglich mit Gitterzäunen abgesperrt. Über dem Bühnenbereich hatte man die letzten Glasscheiben im Dach entfernt und durch Plastikplanen ersetzt. Das angekündigte „industriekulturelle Ambiente“ erwies sich lediglich als eine aus der Not geborene Kulisse, aber mit gut gelaunten Ravern davor boten sich immerhin hervorragende Fotomotive. Drumherum rotierten die Wagen der Loveparade, die so genannten Floats. „Kreisverkehr wie auf der Modelleisenbahn. Da muss erst mal einer drauf kommen!“ dachte ich. Auf dem Gelände war noch relativ viel Platz, so dass ich die Hallen ganz entspannt umrunden konnte. Gedränge gab es nur vor der Bühne.

Irgendwann freute ich mich über den erfolgreichen Abschluss einer Fotosession auf absolut sicherem Terrain. Gleich drei weiteren fatalen Fehleinschätzungen unterlag ich: dass irgendwo ein separater Ausgang sein müsse, dass ich ohnehin einer der wenigen sei, die bereits kurz nach 16 Uhr wieder gehen wollten, und dass der Zulauf ebenfalls aufgehört hätte. Ich fand nur spärlich gekennzeichnete Notausgänge am Rande des rundum abgezäunten Geländes und war schockiert, als ein Ordner mir mitteilte, dass der Ausgang mit dem Eingang identisch sei. Auch war ich nicht der einzige, der früher gehen wollte, denn auch viele andere Teilnehmer waren vermutlich nur aus Neugier hier. So habe ich dann mit einer zunehmenden Menschenmasse zum Ausgang hinuntergearbeitet. Dort sah ich, wie bereits Menschen an der Treppe zum Stellwerk, an einem Container und an Masten hochkletterten. Teilweise halfen ihnen Polizisten, aber es gab auch Rangeleien. An eine Notsituation dachte ich nicht, zumal keine Durchsagen erfolgten. Die meisten Teilnehmer blieben ruhig, Panik sieht anders aus. Das Gedränge nahm zu, aber ähnliches kannte ich ja bereits vom A‑40-Stillleben eine Woche zuvor. Es hätte auf dieser Massenveranstaltung genauso enden können wie später hier, zumal man auch dort zwischen (Lärmschutz‑)wänden eingekesselt war, und Fluchtwege durch Verpflegungswagen zugestellt waren. Nichtsdestotrotz galt jenes Event als grandioser Erfolg!

Zurück zum Güterbahnhof. Kurz vor der Einmündung der Rampe in die Fußgängerunterführung Karl-Lehr-Straße nahm die Enge dann doch erheblich zu. Ich erwog eine Video-Dokumentation, doch dann dachte ich: „Nichts tun, was jetzt irgendwie ablenken könnte, nicht stolpern und auf keinen Fall zurückgehen oder gar versuchen, diese Treppe zu erreichen!“ Ein Kabel fiel von oben herab, ein Verkehrsschild wankte. Fünf Meter Weiter löste sich das Gedränge merkwürdigerweise auf. Der inzwischen erreichte Tunnel war fast leer! Es folgte eine Odyssee vorbei an Polizeisperren in Richtung Innenstadt und weiter zum völlig abgeriegelten Hauptbahnhof, wo kein Zug mehr fuhr. Ich erreichte einen Ersatzbus Richtung Essen, um später von dort aus mit über 100 Kilometern Umweg über Dortmund, Wuppertal und Düsseldorf wieder Krefeld zu erreichen. Das Radio war eingeschaltet, und die Nachrichten meldeten zehn Tote am Ausgang der Loveparade, bei denen es nicht bleiben sollte. So problematisch sich auch der Veranstaltungsort im Nachhinein herausstellte: 21 Tote und Hunderte Verletzte hätte man vermutlich alleine durch einen separaten Ausgang an der Nordseite sowie eine vernünftige Information der Besucher verhindern können. Eine völlig unzureichende und dilettantische Planung kostete Menschenleben. Offenbar diente die vorgebliche Sicherheit weniger dazu, die Besucher zu schützen als die Anwohner vor den Besuchern. Getreu dem Motto: „Das einzige Problem an einer Veranstaltung, die wir aus Prestigegründen um jeden Preis haben wollen, sind deren Teilnehmer“ oder „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“

Der Aufgang zum Stellwerk, an dem 21 Menschen starben, wurde zwischenzeitlich durch die Bevölkerung zum Mahnmal umgestaltet. Dasselbe Stellwerk, das ich drei Jahre vorher nichts ahnend fotografiert hatte. Eigentlich ist es der angemessene Ort. Doch geht es nach dem Willen der Stadtväter, wird genau hier ein Investor ein neues Möbelhaus bauen. Schließlich gibt es ja bereits ein „offizielles“ Denkmal: eine rostige, ziemlich seelenlose Blechplatte mit ein paar herumliegenden Stahlträgern auf einer etwa 100 Meter entfernten Grünfläche.

Den anderen in dieser Stadt praktizierten Irrsinn lässt die Diskussion um Menschenleben geradezu nebensächlich erscheinen: Sei es die Verunstaltung zweier historischer Gebäude im Innenhafen durch größenwahnsinnige Klotz- und Kastenarchitektur oder die Beseitigung eines Arbeiter-Stadtteils, dessen überwiegend ausländische Bewohner fast mustergültig intergriert sind und eben nicht einem so genannten Grüngürtel weichen möchten.

Man möchte ganz viele Rücktritte fordern.

 

Inoffizielle Gedenkstätte